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Die Fremden - Teil 2
110530 Kodo Vale
Die lodernden Flammen verzehren das Dorf. Der Wind, der über den Rauch eine unheilvolle Nachricht trägt, lässt keine andere Schlussfolgerung zu. Mit schnellen Schritten hetzt der Junge den Hügel hinab, seine Gedanken nur beim Dorf, bei seiner Familie, beim Mädchen, das er wider Erwarten ins Herz geschlossen hat. Diese düstere Vorahnung und eine sich langsam steigende, panische Angst, treiben den Jungen noch weiter an schneller als bisher zu sein. Einige Augenblick vergehen, träge und unbarmherzig, ehe der Junge nun endlich das Dorf erreicht und die Blässe des Todes seine Wangen färbt.

Das Dorf, sein Dorf…eine Ruine aus Schutt und Asche. Dort wo einst das Leben blühte, haust nun der grausame Aspekt des Todes. Auch die prächtigen Farben der Blumen und Wiesen im Dorf, wohltuend dem Auge im Glanze des Sonnenlichtes, wurden durch die Kälte und Grausamkeit einer pervertierten Form ihrer selbst ausgetauscht. Auch die Wege, die er blind und bei äußerster Dunkelheit mit Leichtigkeit und mit sicheren Schritten zu finden vermochte, sind ebenfalls durch die Zerstörung unerkennbar.

Mit lauter, kräftiger Stimme beginnt der Junge zu rufen, ja beinahe zu schreien, als sich das unheimliche Gefühl der Vorahnung in eine grausame Gewissheit zu verwandeln droht. Doch der Hoffnung Licht wird von Mal zu Mal geringer. Denn seine Stimme versucht in den Ruinen vertraute Gesichter und Stimmen zu finden, doch was er findet, ist lediglich das in der Ferne vergehende Echo seiner eigenen Stimme.

Wie in Trance lenkt der Junge seine Schritte durch das lodernde Dorf. Überall Zerstörung und zerbrochene Lebensträume. An einem Haus bleibt er durch Zufall stehen, dessen rabenschwarzen Wände die jetzt stummen Zeugen davon sind, dass diese Räumlichkeiten der örtliche Chronist einst sein Eigen nannte. Viel ist nicht mehr übrig, nur ein paar defekte Holodisks, die leise und elektrisierend sich unregelmäßig ein- und wieder ausschalten. Nie ausreichend Zeit, damit sich der Junge vom Inhalt der Disks überzeugen kann. Wie aus dem Nichts steigen aus des Jungen Unterbewusstsein Erinnerungen auf. Erinnerungen an den stets freundlichen und älteren Chronisten, dessen eindrucksvollen Tugenden stets seine Freundlichkeit und Geduld waren und kein Schicksalsschlag des Lebens sie zu trüben vermochte. Auch stets darum bemüht, der nächsten Generation ein Stück der weiten Galaxis näher zu bringen. Verschiedene Symbole, Historie und vieles mehr wurde den mittlerweile unzähligen Jungen und Mädchen nähergebracht. Doch jetzt…jetzt ist es nur noch Staub und Asche.

Auf dem Hauptplatz angekommen, verweilt der Junge dort einige Augenblicke. Egal in welche Richtung er seine Augen lenkt – überall dasselbe Bild. Und damit die ernüchternde Erkenntnis, dass seine Heimat verloren ist, aufgegangen im verzehrenden Feuer der Natur. Auf die Knie sinkend, ergibt er sich ganz seiner Hoffnungslosigkeit. Verloren und einsam brechen alle angestauten Emotionen aus ihm hervor, die Verzweiflung, die Angst und die Wut über sich selbst, nicht anwesend gewesen zu sein, um einen scheinbaren Unterschied zu machen. Die Katastrophe vielleicht zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt weiß er aber noch nicht, dass er den Verlauf der Dinge, egal was er unternommen hätte, nicht hätte beeinflussen können.

Er weiß nicht, wie lange er so auf dem Boden verharrt. Eingeschlossen in seiner Verzweiflung und Apathie. Doch sein Schein-Tod wird jäh unterbrochen, als seine Ohren andere Töne vernehmen: Ein leises Rascheln zu seiner Linken. Alarmiert und auch irritiert, hebt der Junge wachsam seinen Blick – bisher ist das Dorf verlassen, niemand scheint überlebt zu haben und keiner hier zu sein. Also ein wildes Tier? Vorstellbar, jedoch gibt es keine Jäger mehr, die das Dorf vor der lebensbedrohlichen Fauna beschützen. Vielleicht doch einer der für die Zerstörung Verantwortlichen?

Mit einer geschickten und geübten Handbewegung nimmt er seine Schleuder von der Hüfte und nimmt sich mit der anderen einen Stein vom Boden. Diesen legt er ein und schnauft nun einmal tief durch. Er würde feststellen Wer oder Was dies ist und, wenn nötig, alles tun, um sich und seinem Dorf Gerechtigkeit zu geben. Auf leisen Sohlen, ganz wie sein Vater es ihm vor ein paar Jahren beigebracht hatte, bewegt er sich in Richtung des Geräusches. Ein Auge auf seine Umgebung werfend, folgt er dem Geräusch zu einem brennenden Haus – das Heim der alten Bäckerin Ina –, in Richtung der großen Wiese am Rande des Dorfes. Im Schein der Flammen kann er nun etwas erkennen, eine humanoide Form, doch genaueres kann er noch nicht erkennen. Dafür muss er näher heran.

Mit klopfenden Herzen und erhöhtem Puls folgt er dem Schatten vor ihm, nur um diesen um eine Ecke verschwinden zu sehen. Vorsichtig späht er um die Ecke, als wie aus dem Nichts heraus ein gellender, markerschütternder Schrei erklingt. Ein Schatten stürzt sich bestialisch auf ihn und wilde, unkoordinierte Schläge auf seinen Kopf. Nach einem kurzen, intensiven Ringen – seine Kraft war ihm im Kampf ein Vorteil – ist die Auseinandersetzung zu seinen Gunsten entschieden. Seinen Widersacher sieht er sich nun genau an und ein überraschter Ausruf entfährt dem Jungen: Sein Herz, sein liebstes Mädchen, lag niedergerungen auf dem Boden vor ihm.

Es vergeht einige Zeit, in der sich beide an einem sicheren Ort, ihr geheimer Treffpunkt im Dorf, erholen. Und während sie sitzen, erzählt das Mädchen was geschehen war: Kurze Zeit, nachdem der Junge zu seinem Initiationsritus aufgebrochen war, tauchte aus dem Wald ein verwundeter Soldat auf, dessen Insignien dem Dorfältesten nicht vertraut waren. Also wurde, um Klarheit zu schaffen, der Chronist gerufen. Dem Chronisten gelang, was dem Ältesten verwehrt geblieben war: Er identifizierte den Verwundeten als einen Soldaten des sogenannten Neo-Imperiums, die im System eine Hörstation eingerichtet hatten. Der verwundete Soldat wurde zwar versorgt, wollte aber selbst nicht zu lange am Ort verbleiben. Den Grund nannte er sogleich: Er wurde von einem grausamen Wesen verfolgt, welches ohne Reue jeden tötete, der sich ihm entgegenstellte. Der Soldat verwendete bei seinen Ausführungen das Wort „Shkaam“, aber weder der Dorfälteste noch der Chronist hatten Assoziationen mit diesem Wort. Am Abend geschah es dann: Das Mädchen wurde in der Nacht durch Schreie und Schüsse aus dem Schlaf gerissen – ein alienartiges Wesen, vermutlich dieser sogenannte „Shkaam“, fiel über das Dorf her, tötete alles, was sich bewegte und lieferten sich anschließend ein grausames Duell mit dem Neo-Imperialen Soldaten. Keine der Seiten kümmerte sich um den Kollateralschaden und das Dorf bezahlte den Preis dafür. Nach kurzer Zeit neigte sich das unheimliche und grausame Duell dem Ende zu –beide Krieger verwundeten sich schwer, und der Soldat floh um sein Leben in den benachbarten Wald. Das monströse Wesen folgte ihm nach kurzer Zeit, selbst verletzt.

Das Mädchen deutet mit einer zittrigen Handbewegung auf den Wald. Zwei unterschiedliche Blutspuren führen in den Wald, dorthin, wo die beiden ihren letzten Kampf austragen würden. Der Junge, der sich schweigend und ganz in sich gekehrt, der Geschichte gelauscht hatte, blickt nun entschlossen auf. Wut, Schmerz und Rache blitzen zugleich in seinen Augen auf und bei beider Leben, schwört er dem Mädchen den folgenden Eid: Er würde nicht eher Ruhe finden, als er beiden Fremden ihrer Gerechtigkeit zugeführt hatte. Das Mädchen, zunächst überrascht und eingeschüchtert angesichts seiner wütenden Entschlossenheit, schließt sich ihm dann schnell an. Und, nach einer kurzen Vorbereitungszeit, brechen gemeinsam auf…

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